This is an example of a HTML caption with a link.

Pivitsheider Str. 36
D-32832 Augustdorf

Fon: 05237 - 97 90 90
Fax: 05237 - 97 90 98
kanzlei@ra-frank-pieper.de

Aktuelles

17.11.2013

Beschluss OLG Koblenz, 5. Zivilsenat, vom 04.10.2011, 5 U 1078/11



Orientierungssatz

Ist die Diagnose des Zahnarztes, der eine Verbindung der geklagten Schmerzen zu dem
Schmerzsyndrom des Patienten herstellte, ohne weiteres vertretbar, verbietet sich der Schluss
auf ein schuldhaftes zahnärztliches Verhalten. In der Folge wurde der Weg zu einer weiteren Ab-
klärung der Situation versperrt. Soweit ihm eine Fehlinterpretation der - nach dem Vorbringen
des Patienten mitgeteilten - Schmerzen unterlief, muss sich das als rechtlich nicht vorwerfbarer
Diagnoseirrtum darstellen; aus dieser Perspektive ist auch ein haftungsbegründender Befunder-
hebungsfehler nicht zu erkennen.(Rn.13)

weitere Fundstellen
GesR 2012,19-20 (red. Leitsatz, Kurzwiedergabe)
Verfahrensgang
vorgehend LG Koblenz, 30. August 2011, Az: 10 0 312/09, Urteil
nachgehend OLG Koblenz 5. Zivilsenat, 31. Oktober 2011, Az; 5 U 1078/11, Berufung zurückgewiesen
Tenor

Der Senat beabsichtigt nach vorläufiger Beratung, die Berufung gegen das Urteil des Landge-
richts Koblenz vom 30.08.2011, Az. 10 0 312/09, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522
Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache
auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfor-
dert.

Gründe

1 Im Einzelnen ist zur Sach- und Rechtslage zu bemerken:

2 1. Die Klägerin leidet unter einem generalisierten Schmerzsyndrom, in das neben einer Fibromy-
algie eine Dysgnathie und eine Myoarthropathie des Kauorgans hineinwirken. Wegen ihres Fehl-
bisses befand sie sich längerfristig in der zahnärztlichen Behandlung der Beklagten, die deshalb
eine Schienentherapie durchführte. Unterdessen wurden wiederkehrend Kontrolltermine ange-
setzt.

3 Ihrer Darstellung nach klagte die Klägerin an mehreren dieser Termine Ende des Jahres 2007
über Schmerzen im linken Oberkiefer. Die Beklagte hat das bestritten und auf ihre Dokumenta-
tion verwiesen, die für 2007 neben einem Termin im Oktober lediglich noch einen Termin zu An-
fang des Jahres aufführt, ohne dass entsprechende Beschwerden erwähnt werden.





4 Bei der ersten Untersuchung in 2008, die im März erfolgte, zeigte sich ein starker Kariesbefall
des Zahns 26, der als Brückenträger diente und nun entfernt werden musste. Damit wurde eine
neue Abstützung für den Oberkiefer erforderlich; dieserhalb kam es zur Einbringung einer Auf-
bissschiene.

5 In der Folge sieht die Klägerin die Fehlbisstherapie durchkreuzt. Sie habe einstweilen eingestellt
werden müssen, und die Dysgnathie habe sich wieder verschlimmert. Dadurch verlängere sich
die notwendige Behandlung, die für sie schmerzhaft sei. Außerdem seien zahlreichende beglei-
tende Beeinträchtigungen aufgetreten.

6 Die Klägerin wirft der Beklagten vor, für den Verlust des Zahns 26 verantwortlich zu sein. Ihrer
Ansicht nach hätte der kariöse Defekt noch im Jahr 2007 erkannt werden müssen. Dann wäre es
möglich gewesen, den Zahn zu retten und die eingetretenen Nachteile zu vermeiden. Im Hinblick
darauf hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgelds in der Grö-
ßenordnung von 30.000 € und in Ersatz nutzloser Aufwendungen für die Fehlbissbehandlung in
der Zeit vor dem Zahnverlust zur Leistung von 8.160,70 € zu verurteilen. Außerdem hat sie die
Feststellung der Haftung für weitergehende Schäden begehrt.

7 Das Landgericht hat die Klage nach der Anhörung der Parteien, der Zeugenvernehmung des Ehe-
manns der Klägerin und der Befragung eines Sachverständigen abgewiesen. Seiner Meinung
nach kann der Beklagten nicht angelastet werden, den Kariesbefall des Zahns 26 im Jahr 2007
nicht erkannt zu haben.

8 Dagegen wendet sich die Klägerin in Erneuerung ihres Verlangens mit der Berufung. Sie bringt
vor, dass die Beschreibung der Schmerzen, die sie bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht nicht
vollauf zeitlich habe einordnen können, für die Beklagte im Jahr 2007 Anlass zu weitergehenden
Untersuchungen hätte sein müssen. Dann wäre die Schädigung des Zahns 26 aufgefallen. Inso-
weit bitte sie um die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens.

9 2. Mit diesen Angriffen vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Das erstinstanzliche Urteil hat
Bestand.

10 Der vom Landgericht herangezogene Sachverständige ...[A] hat keinen Raum dafür gesehen,
der Beklagten einen zahnärztlichen Fehler anzulasten. Damit gibt es weder eine vertragliche
noch eine deliktische Grundlage für die mit der Klage verfolgten Ansprüche. Auf die weitere Frau-
ge, ob der Klägerin durch die Entfernung des Zahns 26, für die sie die Beklagte verantwortlich
macht, überhaupt ein greifbarer Schaden entstanden ist, kommt es damit nicht mehr an. Immer-
hin hat ...[A] der zentralen Behauptung der Klägerin, die Behandlung ihres Fehlbisses habe da-
durch einen großen Rückschlag erlitten, widersprochen: Es sei lediglich eine Überbelastung im
Bereich des linken Kiefergelenks eingetreten; eine relevante Verlagerung des Unterkiefers nach
vorn könne jedoch nicht angenommen werden, da die Zentrik stabil sei und die verbliebenen
Zähne eine Verzahnung bildeten.

11 Die erfolgreiche Inanspruchnahme der Beklagten scheitert, weil diese - anders als die Klägerin
meint - im Jahr 2007 keine hinreichende Veranlassung zu zusätzlichen diagnostischen Maßnah-
men hatte und die erkennbare Symptomatik nicht vorwerfbar falsch einordnete. Die Klägerin
wurde seinerzeit lediglich zweimal bei der Beklagten vorstellig. Eine weitergehende Anzahl von
Besuchen ist weder aus den Behandlungsunterlagen der Beklagten zu ersehen noch den Anga-
ben zu entnehmen, die die Parteien bei ihrer Anhörung und der Ehemann der Klägerin bei sei-
ner Zeugenvernehmung gemacht haben. Selbst die Klägerin hat, ehe sie - wie sie behauptet -
im Verlauf der erstinstanzlichen Beweisaufnahme überfordert und verunsichert war, definitiv nur
von zwei Terminen gesprochen. Anlässlich dieser Termine mag - das kann zugunsten der Klägerin
unterstellt werden - über Schmerzen im linken Oberkiefer geklagt worden sein, auch wenn das
nach der Dokumentation der Beklagten zweifelhaft erscheinen muss. Aber danach ergab sich
aus der Sicht der Beklagten kein Anhalt für die Annahme eines ablaufenden kariösen Prozesses,
der durch spezielle Nachforschungen wie insbesondere die von der Klägerin vermisste Röntgen-
diagnostik hätte ergründet werden müssen.

12 ...[A] hat dargelegt, dass es, zumal die von der Beklagten durchgeführte Zahntaschensondie¬
rung keine Auffälligkeiten zu Tage gefördert hatte, angemessen war, die von der Klägerin vor-
getragenen Beschwerden deren "komplexem Schmerzsyndrom" zuzuordnen, das "immer wie¬
der in Schüben aufflackern" konnte. Daran ändert sich nicht dadurch etwas, dass die Klägerin -




gemäß ihrer streitigen Darstellung - "mit dem Finger auf die Stelle im Mundraum" zeigte, an der
sie Schmerz empfand. Denn das Schmerzsyndrom der Klägerin stand nach ...[A] auch dabei im
Vordergrund. Aus seiner Warte lag der Schluss auf einen Zusammenhang mit dem Zahn 26 fern,
weil dieser Zahn "wurzelbehandelt und die ganze Zeit ruhig gewesen" sei und weil die dort in
Gang befindliche "kariöse Zerstörung überwiegend eher schmerzfrei ablief". Eine Entzündung,
die gegebenenfalls einer spezifischen Untersuchung bedurft hätte, sei kaum vorstellbar gewe¬
sen. Anders würden sich die Dinge nach der Beurteilung ...[A]s nur dann verhalten, wenn sich an
den beiden Besuchsterminen im Jahr 2007 eine Schmerzentwicklung gezeigt hätte, die den für
eine Entzündung indikativen "kontinuierlichen Fortschritt" signalisiert hätte. Dafür gibt es jedoch
keinen Anhaltspunkt.

13 Vor diesem Hintergrund war die Diagnose der Beklagten, die eine Verbindung zu dem Schmerz-
syndrom der Klägerin herstellte, ohne weiteres vertretbar; daher verbietet sich der Schluss auf
ein schuldhaftes zahnärztliches Verhalten (BGH VersR 1981,1033; BGH NJW 2003, 2827). In der
Folge wurde der Weg zu einer weiteren Abklärung der Situation versperrt. Soweit ihr eine Fehl-
interpretation der - nach dem Vorbringen der Klägerin mitgeteilten - Schmerzen unterlief, muss
sich das als rechtlich nicht vorwerfbarer Diagnoseirrtum darstellen; aus dieser Perspektive ist
auch ein haftungsbegründender Befunderhebungsfehler nicht zu erkennen (BGH GesR 2011,
1153).

( 14 Die - von der Klägerin zur Korrektur dieser Sicht gewünschte - Einholung eines neuen Sachver¬
ständigengutachtens ist nicht angezeigt. Dazu fehlt es an den Voraussetzungen des § 412 ZPO.
Die Ausführungen ...[A]s sind schlüssig und überzeugend. Der Senat hat ebenso wenig wie das
Landgericht Grund, an ihrer Verlässlichkeit zu zweifeln.

15 3. Nach alledem sollte die Klägerin die Rücknahme ihres Rechtsmittels erwägen. Bis zum
28.10.2011 besteht Gelegenheit zur Stellungnahme.